Samstag, 4. August 2018

Älterwerden

Der Juli ist bei uns immer der absolute Geburtstagsmonat. In den ersten beiden Wochen ist fast täglich ein anderes Geburtstagskind an der  Reihe. Eine meiner besten Freundinnen hatte zudem auch dieses Jahr einen runden. Und das hat mich über das Alter und das älterwerden nachdenken lassen. Einige Sprüche wie: na, nächstes Jahr hängt bei Dir auch die 4 davor etc. kenne ich ja schon. Manchmal klingt das fast wie eine Drohung, obwohl ich tatsächlich mit der Zahl 40 oder dem Gedanken 40 zu werden kein Problem habe. 

Es ist ja nicht so, dass Du mit 40 plötzlich nur noch ein Heimchen-am-Herd-Dasein führst, dass Du Dich nur noch hochgeschlossen kleiden darfst und Spontanität mit einem Schuss Verücktsein vorbei ist. Vielleicht war das mal so, aber das ist doch schon ewig lange her, oder? 

Und im Gegenzug finde ich persönlich aber auch nicht dass man mit 40 plötzlich zwanghaft anfangen muss, sich flippiger zu kleiden (als man es zuvor getan hat), in das Fitnessstudio zu rennen, um den Body in Bestform zu pushen - damit er mit jeder 17jährigen locker mithalten kann und ja nirgends ein Gramm zu viel ist, oder gar beim Schönheitsdoc Stammgast zu werden, damit die Falten und Augenringe weg, die Haut weicher als bei jedem Neugeborenen, die Lider gestraft, die Lippen schön prall und was es da noch so alles geben mag, ist. Kurzum ich finde es bescheuert, sich derart zu kasteien, zu knechten und zu knebeln nur um sich was zu beweisen oder sein Alter zu kaschieren oder das älter werden aufhalten zu wollen (nicht zu verwechseln mit sich selbst pflegen - verwahrlosen braucht man sicher auch nicht).

Wie gesagt, 39 - und hoffentlich nächstes Jahr 40 ist für mich kein Problem 😉. Im Gegenteil! Denn erst letztens dachte ich, wie angenehm es doch beruflich gesehen ist, dass ich schon viele Jahre Berufserfahrung vorweisen kann, weiß was ich tue, aus dem großen Erfahrungsschatz schöpfen kann und dadurch sicher auch souveräner und sicherer als mit 20 Jahren wirke. Und ich habe auch das Gefühl, dass mein Gegenüber dies merkt und registriert,  auf meine Meinung wird Wert gelegt, ich werde um Rat gefragt und und und. Wenn ich zurückdenke, wie viel ich mit Anfang 20 geschuftet habe, die Schulbank gedrückt habe und wie ich vor allem irgendwie immer das Gefühl hatte, mir erst ein Standing hart erarbeiten zu müssen, doppelt so viel wie andere tun zu müssen usw. Ich glaube, diese Situation ist wahrscheinlich sehr vielen bekannt und vermutlich auch ganz normal...aber heute mit fast 40 sehe ich dies tatsächlich als einen schönen Vorteil gegenüber einer Berufsanfängerin. 

Und generell sehe ich heute vieles wesentlich entspannter als früher. Früher habe ich mich oft mit anderen verglichen. Es hat eine Weile gedauert, dass ich das heute nicht mehr tue und mich selbst mag, mit allem drum und dran. Sich ständig zu vergleichen bedeutet letztlich doch nur, immer unzufrieden zu sein, sich schlecht zu fühlen...denn es gibt immer jemanden, der talentierter ist, hübscher, eloquenter, lustiger, beliebter usw. Das Leben ist definitiv zu kurz für so was. 

Früher wollte ich auch immer allen gefallen - und damit meine ich nicht nur in optischer Hinsicht. Heute kann ich sagen: wie anstrengend! Heute finde ich, immer nur anderen gefallen zu wollen (jetzt mal unabhängig vom Aussehen) bedeutet auch irgendwo, sich selbst ein Stück weit zu verleugnen, nicht authentisch zu sein (wenn man schweigt weil man weiß,  dass das Gegenüber anderer Meinung ist, anstatt die eigene zu vertreten zum Beispiel). Oder sich selbst unter (starken) (Zeit-)Druck zu setzen, weil man dieses oder jenes noch unbedingt für jemanden erledigen will und eigentlich doch gar keine Zeit hat usw. 

Natürlich mache ich auch heute noch oft nen Spagat, weil ich Freunden oder Familie helfen will. Aber das mache ich heute nicht mehr, weil ich gefallen will oder Freunde finden will, sondern, weil ich diese Menschen mag und einfach auch kein Egoist bin und immer denen helfe, die mir wichtig sind.  Und natürlich freue ich mich auch heute noch über ein Kompliment für mein Outfit. Aber ich würde sagen, dass ich mittlerweile zumindest meistens meinen eigenen Modestil gefunden habe und nichts einfach nur kaufe, weil es grade "in" ist und ich dazugehören will, sondern einfach,  weil ich mich so wohl fühle und es mir gefällt. Kurz gesagt: ich bin (mir) selbstbewusster als früher. Nie im Leben würde ich also nochmal 20 sein wollen. 

Klar, was mir natürlich am älter werden nicht gefällt, sind die grauen Haare, die nun mehr und mehr kommen und auch dass das ein oder andere Zipperlein eher auftaucht als früher. Und um was ich jüngere beneide, ist die Ausdauer, die sie auf Festen und Feiern an den Tag bzw. Die frühen Morgenstunden legen und die Tatsache, dass sie länger ausschlafen können, als ich es (aktuell) kann. Aber im Endeffekt wär's das auch schon😂. 

Und je länger ich darüber nachdenke, komme ich mehr und mehr zu dem Punkt, dass "hadern", zum Beispiel auch mit dem eigenen Alter, letztlich nur Ausdruck von Unzufriedenheit ist. So viele Menschen definieren sich über irgendwas oder irgendjemanden. Eltern zum Beispiel: "Mein Name ist Elsa (Name ist fiktiv) ich bin die Mama von...", "Ich bin so stolz auf mein Kind, das da drüben, das auf dem Siegertreppchen" etc. Oder Berufstätige : "mein Name ist Prof. Dok. Dok. Med. Irgendwas, ich bin Leiter der..." 
," ich habe mich hochgearbeitet, heute bin ich verantwortlich für blablabla, was ein wichtiger Bereich im Konzern ist". Oder materialistischen Dingen "wir sind Familie Müller, wir wohnen in dem grossen neuen Haus in der Sowiesostrasse, ja das mit den Palmen und dem grossen Jacuzzi davor"... diese Beispiele sind natürlich fiktiv und bewusst von mir überzogen, aber hey: wenn ihr genau drüber nachdenkt, fallen Euch doch ganz, ganz sicher ein paar Beispiele solcher Personen selbst ein, hm? Und ich frage mich: was passiert, wenn diese Dinge "weg" sind? Wenn die überstolze aufopferungsvolle Mama, die sich eigentlich nur noch übers Mamasein definiert,  Kinder hat, die ausziehen, vielleicht sogar weiter weg, in andere Länder, heiraten, selbst Familie gründen und die Mama nicht mehr "brauchen"(soll ja vorkommen, so was 😉)? Was passiert, wenn der Herr Professor nicht die Wertschätzung im Job bekommt, die er meint zu verdienen, oder wenn er gar gekündigt wird? Was passiert, wenn sich die Musterfamilie, die mit dem grossen, schönen Haus scheiden lässt und die Mama fortan mit den Kindern in eine winzig kleine, unschön gelegene aber günstige Wohnung ziehen muss? Sind all diese Leute dann plötzlich weniger wert als zuvor? Wohl kaum!
Dabei ist es ganz normal und natürlich, sich über bestimmte Bereiche im Leben zu definieren oder zumindest den Fokus zu setzen. Und klar, bin auch ich stolz auf meine Kinder und unsere Familie, auf unseren Freundeskreis (von dem ich sagen kann, dass es allesamt echte, wirkliche Freunde sind), auf das, was ich mir beruflich erarbeitet habe und die Art und Weise,  wie wir unser Leben führen (können). Aber ich definiere mich nicht darüber, das ist der Unterschied und ich zumindest kann nur sagen, dass dies auch (langfristig) zufriedener macht.

Und so sage ich heute: ich bin Natascha, Mutter zweier Kinder, Ehefrau, Schwester, Arbeitnehmerin, Freundin,  Patentante, Hausfrau, Schwarzwälderin, Bandmitglied, mal lustig - mal ernst, mal chaotisch - mal strukturiert, mal kreativ - mal nicht, mal glücklich - mal traurig, mal gesellig - mal lieber allein und noch so viel mehr...denn ich bin Natascha,  39 Jahre - hoffentlich nächstes Jahr 40 und ich bin so wie ich bin - einzigartig. 






       

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